Wolfgang Ammer, News, 2004, Tuschfeder, laviert, Deckweiß auf Papier © Landessammlungen NÖ
Wolfgang Ammer, News, 2004, Tuschfeder, laviert, Deckweiß auf Papier © Landessammlungen NÖ

Eine frühmittelalterliche Kirche aus dem 21. Jahrhundert

von pflege

Im Freigelände des MAMUZ Schloss Asparn/Zaya wurde in den Jahren 2021/2022 eine Kirche nach frühmittelalterlichem Vorbild errichtet. Die Möglichkeit der Errichtung eines lebensgroßen Modells bot sich im Rahmen des Interreg-Projektes ATCZ59 I-CULT „Internationale Kulturplattform“. Die Finanzierung erfolgte aus dem Programm INTERREG V-A Österreich-Tschechische Republik, gefördert vom Europäischen Fonds für Regionalentwicklung (EFRE).

Bis dato konnten die Besucher im Freigelände des MAMUZ Schloss Asparn/Zaya komplett eingerichtete Wohn- und Wirtschaftsgebäude aus der Steinzeit bis in die Eisenzeit erleben. Diese lebensgroße Architekturmodelle beruhen auf in Niederösterreich sowie angrenzenden Regionen ergrabenen archäologischen Befunden. Eine kleine Kirche ist nun das erste Gebäude eines neuen, frühmittelalterlichen Siedlungskomplexes. Damit wird parallel zur Dauerausstellung im Schloss auch im Freigelände die Menschheitsgeschichte von der Altsteinzeit bis ins Mittelalter erlebbar. Auch der inhaltliche Rahmen der Vermittlungsprogramme und historischen Feste im MAMUZ wird dadurch erweitert.

Die als Vorbild dienende Kirche wurde zwischen 2008 und 2012 in Pohansko bei Břeclav in Süd-Mähren bei archäologischen Ausgrabungen des Instituts für Archäologie und Museologie der Masaryk-Universität Brünn (Tschechien) unter der Leitung von Prof. Jiří Macháček freigelegt.

Pohansko bei Břeclav bildete im 9. und beginnenden 10. Jh. einen der wichtigsten Zentralorte des sogenannten großmährischen Reiches, dessen direkter Einflussbereich bis weit ins heutige Weinviertel reichte. Wie bei frühmittelalterlichen Burgen üblich, handelte es sich um ein ausgedehntes Areal, das mittels Wallanlagen geschützt war.

Die Kirche stand in der nordöstlichen Vorburg von Pohansko, einem der eigentlichen Burg vorgelagerte Siedlungs-Bereich. Hierbei handelte sich um die Residenz bzw. das Anwesen eines hochstehenden Amtsträgers, etwa eines Burg-Aufsehers, während der Herrscher (Fürst) im zentralen Herrenhof der Burg residierte. Die Kirche existierte in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts und wohl auch noch in den ersten Jahrzehnten des 10. Jhs. Um sie herum erstreckte sich ein Friedhof, auf dem 152 Personen bestattet wurden. Die einflussreichsten Personen – die Familie des Kirchen-Gründers bzw. -Besitzers – wurden innerhalb der Kirche begraben, denn es handelte sich wohl um eine Eigenkirche, also eine Kirche in Privatbesitz. Der Sakralbau bildete das symbolische Zentrum der Ansiedlung und wurde an ihrem höchsten Punkt errichtet.

Die Kirche von Pohansko bot sich aus verschiedensten Gründen als Vorlage für das Modell in Asparn an: Sie wurde mit moderner archäologischer Methodik ergraben und dokumentiert, stand in geographischer Nähe zu Asparn/Zaya, hatte eine „handliche“ Größe und ist architektonisch sehr interessant: Sie wurde in einer bis dato in diesem Raum einzigartigen Kombination aus Holz- und Steinbautechnik errichtet.

Es handelt sich um eine Rotunde mit runder, hufeisenförmiger Apsis. Sie war lediglich 8,5 m lang und 6 m breit. Das Bauwerk bestand aus tragenden Holzpfosten. Deren Zwischenräume waren im Kirchenschiff mit Mauerwerk aufgefüllt; bei der Apsis bestand das Aufgehende aus Flechtwerk und einer Verkleidung der Wände mit Steinen. Es sollte wohl den Eindruck eines reinen Steinbaus erweckt werden, hierfür fehlte jedoch entweder das nötige Wissen der Baumeister über Steinbautechnik oder man wollte bzw. konnte sich keinen reinen Steinbau leisten. Die Wände waren mit Lehm verputzt und möglicherweise, wie damals üblich, innen mit farbiger Wandmalerei verziert.

Sowohl das MAMUZ als auch die Universität für Weiterbildung Krems waren Projekt-Partner: Die UWK wirkte gemeinsam mit Dr. Franz Pieler, Sammlungsleiter der Landessammlungen Niederösterreich, Bereich Urgeschichte und Historische Archäologie, unterstützend bei der Planung der Kirche; das MAMUZ kümmerte sich um die praktische Umsetzung. Die Aufgaben des Zentrums für Museale Sammlungswissenschaften (Elisabeth Nowotny) waren weiters die Kuratierung einer 2020 im MAMUZ Asparn präsentierten Sonderausstellung zum Thema Bauen und Leben im Mittelalter sowie die Koordination der hierfür eigens durchgeführten Forschungsarbeiten.

Umgesetzt wurde der Bau von Archäologe Wolfgang Lobisser und dem Ludwig-Boltzmann-Institut für Archäologische Prospektion und Virtuelle Archäologie. Die Gelegenheit wurde gleichsam genutzt um archäologische Experimente zur Handwerks- und Baukultur durchzuführen. Die für den Bau nötigen Holzbearbeitungswerkzeuge wurden archäologischen Funden aus dem Frühmittelalter nachempfunden. Die wichtigsten Werkzeugtypen waren dabei Äxte in verschiedenen Formen, Dechsel, Ziehmesser, Sägen, Stemmbeitel, Hohlbeitel, Löffelbohrer, Ahlen, Messer und Hobel.

Bei der Gestaltung des Aufgehenden, also der Höhe der Wände, der Form der Fenster und des Daches griff das Team sowohl auf Hinweise aus Ausgrabungen, als auch vor allem auf die wenigen noch stehenden Kirchen des Frühmittelalters und auf seine jahrzehntelange Erfahrung im Bereich des Holzbaus zurück. Um Wände zu glätten (sowohl Lehm- als auch Kalkwände) und Fugen zu verstreichen kam beispielweise Werkzeug zum Einsatz, das zwar archäologisch nicht belegt ist, jedoch aufgrund seiner Funktionalität wohl so ähnlich verwendet worden sein dürfte. Die Außenwände wurden zum Abschluss gekalkt.

Die Rotunde wird durch eine Doppeltür betreten, darüber ist ein kleines Seelenloch angebracht, wie es von etwas jüngeren Kirchen bekannt ist. In der Apsis lässt ein kleines Rundfenster Licht in den Altarraum. Beim Dach wären prinzipiell Varianten aus Stroh, Holzschindeln oder Schilf vorstellbar. In Pohansko war wahrscheinlich die Schilfvariante aufgrund der Nähe zu den Flussauen bevorzugt worden. Das Dach wurde aus schrägen Rofen und Querlatten konstruiert. Darauf wurden etwa 2 m lange Schilfbündel überlappend aufgebracht, in Folge am Dach geöffnet und von Hand zur Kegelform modelliert. Zum Binden wurde im Frühmittelalter wohl Schnur aus Leinen oder Baumbast sowie Weidenruten verwendet.

Bei den Ausgrabungen selbst kamen nur wenige Hinweise auf eine Ausstattung des Kircheninnenraums zu Tage: einige Fackelhalter sowie eine kleine Glocke und ein kleines Stück Porphyr, das möglicherweise von der Altarplatte stammt. Darüber hinaus wurden für die Rekonstruktion der Innenausstattung Funde aus weiteren Ausgrabungen sowie bildliche und ethnologische Quellen hinzugezogen. Der Kirchenboden wurde mit gestampftem Lehm gestaltet; die Einrichtung ist sämtlich aus Holz: Eine einfache hölzerne Sitzbank wurde umlaufend an der Innenmauer des Schiffes angebracht, Chorschranken trennen den Altarraum der Apsis vom Kirchenschiff, links und rechts davon stecken Kienspäne in Halterungen an der Wand. Auf einer einfachen Altarkonstruktion stehen gedrechselte Kerzenhalter. Ein Altarschrein und ein Lesepult ergänzen die Ausstattung.

Nachdem im Mai 2021 mit ihrem Bau begonnen worden war, wurde die Kirche im März 2022 offiziell eröffnet.

Die „frühmittelalterliche“ Kirche im Bau: Pfosten, Steinfundament, Flechtwerkwände und Dachstuhl wurden bereits errichtet (Foto @MAMUZ)
Die „frühmittelalterliche“ Kirche im Bau: Pfosten, Steinfundament, Flechtwerkwände und Dachstuhl wurden bereits errichtet, Foto: @MAMUZ

Blick vom Schiff der Rundkirche in den Altarraum mit Inneneinrichtung (Foto @MAMUZ)
Blick vom Schiff der Rundkirche in den Altarraum mit Inneneinrichtung, Foto: @MAMUZ

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