Herwig Zens – Mit dem Tod tanzen und die Zeit zum Stillstand bringen
von pflege
Clara Simak
Das zeichnerische Talent des 1943 in Himberg bei Wien geborenen Künstlers war schon während seiner Schulzeit offenkundig. So belegte Herwig Zens ein Doppelstudium – Bildnerische Erziehung und Malerei – an der Akademie der bildenden Künste in Wien, wo er dann ab 1987 bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2006 selbst die Professur für Bildnerische Erziehung innehatte. Für seine Verdienste um die Ausbildung zahlreicher Pädagoginnen und Pädagogen wurde ihm im Jahr 2011 das Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst 1. Klasse der Republik Österreich verliehen. Darüber hinaus wurde er 2003 mit dem Silbernen Komturkreuz des Landes Niederösterreich für besondere kulturelle Verdienste und 2013 mit dem Preis der Stadt Wien für Bildende Kunst ausgezeichnet.
Ein wesentlicher Meilenstein in Herwig Zens' langer Karriere war die Präsentation des Gesamtdrucks seiner Tagebuchradierungen im Rahmen der „Art multiple“ in Düsseldorf 1995. Dieses „radierte Tagebuch“, das mit einem Selbstporträt des Künstlers am 9. November 1977 seinen Ausgang nahm, entwickelte sich in der Folge zu einer wahren „Obsession“, die ihn sein Leben lang begleitet hat. Die Besonderheit des Tagebuchs liegt im Format und in der Technik: 5 Zentimeter breit und 40 Zentimeter hoch ist jede Seite, die jeweils auf einer Kupferplatte ausgeführt wurde. Als Zusammendruck hunderter Platten wurde es mit einer Länge von 20 Metern bei der „Art multiple“ 1995 als damals längste Radierung der Welt vorgestellt. Als Schenkung der Witwe befindet sich diese Radierung nun in den Landessammlungen Niederösterreich. 2005 wiederholte Herwig Zens das Experiment und ließ die Tagebuchstreifen unter der kundigen Aufsicht von Kurt Zein erneut auf einem durchgehenden Stück Papier drucken, wobei die nunmehr 28 Jahre eine Länge von 40 Metern ergaben. Ausgestellt wurde dieses Werk u.a. in der Aula der Akademie der bildenden Künste anlässlich von Zens' Emeritierung.
Ein ebenso stetig wiederkehrendes Thema im Œuvre des Künstlers ist der Tod, welches er in zahlreichen Serien und Einzelwerken immer wieder neu verhandelt hat. Die Katakomben von Palermo mit ihren eingekleideten Mumien, das Motiv des Totentanzes, Francisco de Goyas Caprichos und Pinturas Negras mit ihren grotesken und makabren Details dienten Herwig Zens als Inspiration für die Auseinandersetzung mit dem Tod, zu dessen Faszination er sich folgendermaßen geäußert hat: „Wenn Sie je vom Tod persönlich angerührt werden, gibt es eigentlich kein wesentlicheres Thema mehr. Und je länger man lebt, desto intensiver wird seine Gegenwärtigkeit.“
Besonders in Zens' grafischem Werk wird diese Faszination evident. Die vom Künstler präferierte grafische Technik der Radierung erlaubt ein schnelles, expressives, zeichnerisches Bearbeiten der Druckplatte, wodurch er eine ähnlich bewegte und energetische Bildsprache erzielen konnte wie in seinen Gemälden. Eine der quantitativ größten Serien ist der Palermo-Zyklus, dem Zens über fast ein ganzes Jahrzehnt immer wieder neue Drucke hinzugefügt hat. Die Kapuzinergruft Palermos, voller mumifizierter Körper verschiedenster Alter und Stände, gehört zu den eindrucksvollsten Memento Mori-Beispielen der Welt. In Herwig Zens' Grafiken ist die spärliche Architektur der Gruft nochmals reduziert wiedergegeben oder aber komplett ausgespart, und obwohl sich die mumifizierten Körper mehrzeilig aneinanderreihen, fokussiert der Künstler oftmals auf kleine Gruppen oder einzelne Verstorbene. Es wird den Betrachtenden klar, dass es Herwig Zens hier nicht um Bilder vom Tod als große, Zeit und Raum überschreitende Kraft ging, sondern um den Tod als individuelles Phänomen.
In Herwig Zens' grafischem Œuvre sind zahlreiche Hommagen an Velazquez und Goya zu finden; letzterer war auch das Thema seiner Diplomarbeit und der Grund seiner häufigen Spanien-Aufenthalte. Francisco de Goya hat mit seinen Grafiken und Gemälden eines der düstersten und komplexesten Gesamtwerke der europäischen Kunstgeschichte hinterlassen, das seit fast 200 Jahren Künstler*innen und Kunsthistoriker*innen gleichermaßen beschäftigt. Das gilt auch für Herwig Zens, der 2002 sogar eine Grafik schuf, in der er und sein künstlerisches Vorbild einander im Traum begegnen. Die ausführlichste Auseinandersetzung mit Goya ist die Serie von Hommagen aus 1996, welche über 20 Grafiken einschließt. Zens' entnimmt Sujets und kompositionelle Elemente aus den Pinturas Negras und Caprichos des spanischen Meisters und arbeitet die für ihn essentiellen Bildbestandteile heraus, indem er diese in zweierlei Hinsicht konzentriert: die Anzahl der Figuren wird oftmals reduziert und die Szenen werden aus ihrer lokalen Verortung herausgehoben und ohne eine Bildfeldbegrenzung in die Mitte des Blattes gesetzt. Auch die von Zens gewählte grafische Technik der Lithografie, welche durch den Einsatz von Tusche und Kreide eine höchst malerische Qualität besitzen kann, verdeutlicht, dass hier eine Neuinterpretation von Goyas düsteren Meisterwerken angestrebt wird. Auch in dieser Serie müssen die Betrachtenden nicht lange nach dem Verweis auf den Tod suchen, er sitzt versteckt im Hintergrund jedes Hexensabbats, er droht die Insassen des Irrenhauses zu konsumieren und er erscheint in jedem Traum (oder Schlaf) der Vernunft.
Doch diese tiefe Auseinandersetzung mit dem Lebensende ist nicht das Zeugnis eines trübseligen Gemüts, wie die Wegbeleiter*innen und Freund*innen des Künstlers bezeugen können, vielmehr ist es eine Annäherung an ein weiteres, ebenso unerschöpfliches und unergründliches Thema: die Zeit. Herwig Zens' Hingabe zu dieser Thematik ist in seiner herausragenden Serie von Tagebuchblättern, die er 40 Jahre lange fortführte, am eindrücklichsten bewiesen. Der Künstler selbst brachte es am besten auf den Punkt: „Vielleicht ist es die Aufgabe des Künstlers, der Künstlerin, den Versuch zu starten, die Zeit zum Stillstand bringen zu wollen.“
Gerda Zens überreicht gemeinsam mit Johannes Scheer an Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner als zusätzliche Schenkung ein Porträt, das Herwig Zens anlässlich ihres 70.Geburtstags schuf. © NLK Pfeiffer